TRUTH IS STRANGER THAN FICTION // Vorträge & Talks 2017

Thematisches Begleitprogramm in Kooperation mit dem Exzellenzcluster
„Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Das LICHTER Filmfest rückt 2017 das Thema „Wahrheit“ in den Mittelpunkt – und das in einer Zeit, in der Populisten mit einfachen und nicht belegbaren „Wahrheiten” die Stammtische und zunehmend auch die Parlamente erobern. Wer ihre leeren Versprechungen hinterfragt, wird kurzerhand selbst der Lüge bezichtigt. Journalisten, die auf Vielstimmigkeit, solide Quellen und objektivierbare Fakten setzen, bekommen es mit der aggressiven Schlichtheit des populistischen Arguments zu tun – und zunehmend auch mit Drohungen und Gewalt. Das Internet, allem voran die sozialen Medien, ist Katalysator dieses Prozesses, der in zwei entgegengesetzte Richtungen weist: Wo jeder zum Sender einer Nachricht werden kann, entsteht einerseits ein Bild, das umfassender, komplexer und dichter ist als bisher. Zugleich öffnen die zumeist anonymen, an keine ethischen, qualitativen oder fachlichen Standards gebundenen Äußerungen der Manipulation Tür und Tor. Trolle treten an die Stelle von Transparenz. Meinung und Tendenzjournalismus treten an die Stelle objektivier Darstellung. Wie ist es also um die Wahrheit bestellt in Zeiten, in denen Detaildenker und Vereinfacher, Geheimniswahrer und Whistleblower, Demokraten und Despoten einander unversöhnlich gegenüberstehen? Das zehnte LICHTER Filmfest sucht Antworten im Gespräch mit Vertretern aus Medien, Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur.

In Vino Veritas: Wir schenken reinen Wein ein!

Humoristischer Gesprächsabend mit Wein
29. März // 19 Uhr // studioNAXOS
In Kooperation mit dem Caricatura Museum Frankfurt

Eintritt: 6 Euro

Wie sagte schon Zaphod Beeblebrox: „Mit meinem Verhältnis zur Realität ist alles in bester Ordnung. Ich lasse es alle vierzehn Tage vorschriftsmäßig warten.“ In diesem Sinne teilen die illustren Gäste des Caricatura Museums einen ganzen Abend lang – wenigstens das ist nicht gelogen – in einem witzigen und blitzgescheiten Schlagabtausch ungefakte News aus, prüfen wahre Fälschungen und falsche Wahrheiten, verwerfen alternative Fakten und meißeln faktische Alternativen gar in Stein. Ist im Sumpf der Lügen, im Nebelfeld der Fake News das halbwegs Wahre schon so gut wie eine schlecht plagiierte Doktorarbeit? Ist die Erde nicht vielleicht doch eine Scheibe?

Beim Denken hilft bekanntlich ein Glas Wein ganz ungemein. Und beim Laut-Denken und Laut-Lachen helfen zwei Gläschen noch besser – deshalb schenken wir an diesem Abend wahrhaft edle Tropfen aus. Wer alles kommt? Der Papst, die Kanzlerin und der Kaiser von China nebst dem einen oder anderen Präsidenten. Oder eben andere, wahrhaftig profilierte Diskutanten wie Michael Ringel (Redakteur der „Wahrheit“-Seite der taz), Michael Schmidt-Salomon (Philosoph und Journalist), Tim Wolff (Titanic-Chefredakteur) und Hans Zippert (Autor und ehem. Titanic-Chefredakteur).

Die Stunde der Wahrheit schlägt am 29. März 2017 um 19 Uhr. Ab 21 Uhr darf wieder gelogen werden, dass sich die Balken biegen und die Schwarten krachen. Das Gespräch führt Birgit Sommer vom Hessischen Rundfunk.

Mit Weinen und Weinempfehlungen von Rupert Rösch.

Wenn Meinung zu Wahrheit wird – Und Wahrheit zu Meinung ...

© Christina Görkes

Gesprächsrunde
30. März // 19:30 Uhr // Mousonturm (Studio 1)

Wer menschenverachtende Reden, Lügen und antidemokratisches Verhalten für das Problem ferner Diktaturen gehalten hat, ist spätestens seit dem Brexit-Votum oder den Präsidentschafts-Wahlen in den USA eines Besseren belehrt. Populismus und der Wille zu spalten sind in der Mitte der westlichen Gesellschaften und ihrer politischen Systeme angekommen. Doch wer zulässt, dass die Grenzen der liberalen Werteordnung und des Rechtsstaats gegenüber Einzelnen überschritten werden, gefährdet die Freiheit im Ganzen. Dabei verschärft sich die Situation nicht nur in Ländern, in denen Journalisten von Staats wegen verfolgt und das Recht der freien Meinungsäußerung immer weiter eingeschränkt werden. Gerade wo eine kritische und vielstimmige Berichterstattung (noch) möglich ist, verlieren differenziert argumentierende Medien und Politiker in breiten Teilen der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit. An ihre Stelle treten wutgetriebene Meinungsmacher, deren emotional vorgetragene Hasstiraden und Falschaussagen sich in sozialen Medien regelfrei und selbstverstärkend verbreiten. Sie beziehen ihren Wahrheitsanspruch nicht mehr aus der Kraft des Arguments, sondern aus der Zustimmung derer, die sie hinter sich versammeln.

Wie gefährlich sind Populismus und Hate-Speech für die westlichen Demokratien? Wie viel destruktive Meinungsmache muss eine freiheitliche Gesellschaft ertragen? Welche Grenzen muss Demokratie setzen? Wie können die Anhänger demagogischer Verführer wieder für Pluralismus und Freiheit gewonnen werden? Welche Verantwortung kommt dabei Politik und Medien zu?

Es diskutieren:

  • Paulina Fröhlich, Aktivistin der Kampagne Kleiner Fünf
  • Prof. Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau
  • Prof. Dr. Christoph Menke, Philosoph und Principal Investigator des Exzellenzclusters „Normative Orders“
  • Dr. Fabian Steinhauer, Rechts- und Medienwissenschaftler Goethe Universität Frankfurt am Main

Moderation:
Dr. Eberhard Nembach, Leiter Politik-Redaktion hr-info

Wahrheit als Prozess

© Susanne Radmann

Gesprächsrunde
31. März // 19 Uhr // Festivalzentrum Mousonturm (Studio 2)

Die Wahrheit zu ermitteln und auf ihrer Grundlage Recht zu sprechen ist für Juristen ein hartes Stück Arbeit. Ferdinand von Schirachs Theaterstück „Terror“ hat dies unlängst anschaulich zu Bewusstsein gebracht. Auch die Gesprächsrunde nimmt den Gerichtssaal ins Visier – und damit den Ort, an dem Tag für Tag beansprucht wird, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Wie wird Wahrheit innerhalb eines Strafverfahrens aufgedeckt? Welche Bedeutung hat das Strafverfahren für die Verhandlung gesellschaftlicher Konflikte? Welche Herausforderungen stellen sich Strafverteidigern im Kampf für ihre Mandanten? Welche Rolle spielen „Deals“ und falsche Geständnisse? Und wie können Laien in die Rechtsfindung einbezogen werden?

Es diskutieren:

  • RA Dr. Barbara Livonius, Strafverteidigerin
  • Dr. Dominik Brodowski, Experte für Straf- und Strafprozessrecht des Exzellenzclusters „Normative Orders“
  • Prof. Dr. Klaus Günther, Professor für Rechtstheorie, Strafrecht und Strafprozessrecht und Sprecher des Exzellenzclusters „Normative Orders“

Moderation:
Corinna Budras, Wirtschaftsredakteurin der FAZ

HYPER, HYPER. LICHTER AGORA

© Susanne Radmann

Offenes Gesprächsforum (Deutsch/Englisch)
01. April // 17 Uhr //Festivalzentrum Mousonturm (Studio 2)

Fake World meets True Scientists: In der LICHTER AGORA diskutieren junge Philosophen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Normative Orders“ und der Goethe-Universität Frankfurt am Main über Wahrheit und ihre Bedeutung für Politik und Zeitgeschichte. Ausgangspunkt der drei Sessions ist die BBC-Dokumentation HyperNormalisation (Adam Curtis, 2016). Ausgewählte Filmausschnitte liefern Impulse für das offene Gesprächsforum. Das Setting des interdisziplinären Austauschs lädt das Publikum ein, gleichberechtigt mit den Gästen der AGORA zu debattieren.

Session 1: Engineering The World? – Der Wahrheitsbegriff der Psychoanalyse und seine Bedeutung für eine emanzipatorische Politik

Die Entdeckung des Unbewussten hat den Zugang zur Psyche revolutioniert: Sigmund Freud hat gezeigt, dass sich ein beträchtlicher Teil des Seelenlebens der Kenntnis und Herrschaft des bewussten Willens entzieht und der Mensch mehr ist, als bloß das Zusammenwirken bio-chemischer Prozesse. Die Symptome menschlichen Leidens verweisen vielmehr auf einen unbewussten Sinn, der aus der Lebensgeschichte der Patienten heraus verstanden werden muss. Patienten müssen also einen Reflexionsprozess durchlaufen, um den entstellten Sinn ihres Leidens ans Licht zu bringen. Diese Bewusstwerdung soll ein Mehr an Autonomie ermöglichen. Nicht nur in der Medizin, sondern auch in der Philosophie forderte die Entdeckung und Theorie des Unbewussten stets tradierte Modelle und Begriffe heraus.

Der Sozialphilosoph Johannes Röss (Exzellenzcluster „Normative Orders“) erörtert in seinem Vortrag die Herausforderungen der Psychoanalyse für philosophische Wahrheitstheorien. Daran anschließend überträgt der politische Theoretiker Jonathan Klein (Exzellenzcluster „Normative Orders“) die Motive der Psychoanalyse auf ein Denken politischer Praxis und beleuchtet die gesellschaftlich-emanzipatorische Kraft von Wahrheit. Der Politikwissenschaftler Holger Marcks (Exzellenzcluster „Normative Orders“) spannt den Bogen zu HyperNormalisation und gibt einen Überblick über die wichtigsten Themen und Fragestellungen des Films.

Session 2: The Truth Is Out There – Connections and Disconnections between Truth and Reality

Vereinfachende Welterklärungen stehen nicht erst seit Pegida, AfD und Donald Trump hoch im Kurs. Die Frankfurter Gesellschaftswissenschaftler Dr. Endre Dányi und Sebastian Schindler (Exzellenzcluster „Normative Orders“) analysieren Verschwörungstheorien und ihre Anziehungskraft auf Individuen und Gesellschaft (in englischer Sprache):

Does everything connect? Conspiracy theories suggest so, but so do many social scientific approaches. Sociologist Endre Dányi suggests the main challenge is whether we can distinguish between different kinds of connections. Why do we tend to perceive reality as disconnected from truth? Taking inspiration from Hannah Arendt, political scientist Sebastian Schindler argues that we should not accept that reality is fake.

Session 3: Post-truth, Facts & Fiction – Was kommt nach den Fakten?

In einem „Plädoyer für die Dummheit“ zeigt die Politikwissenschaftlerin Nicky Mühlhäuser, warum Wahrheit unmöglich ist. Der Frankfurter Philosoph Sven Zedlitz befasst sich damit, wie sich neue Gegenöffentlichkeiten bilden, die politische Machtverhältnisse ins Wanken bringen. Und Marcus Döller (Exzellenzcluster „Normative Orders“), ebenfalls Philosoph, bringt eine ästhetische Perspektive ins Spiel, indem er das Verhältnis von Wahrheit und Illusion im Film beleuchtet.

Moderation:
Stefanie Plappert und Sebastian Läßle

„Adam Curtis sucht in HyperNormalisation nach Korrelationen und Kausalitäten und fragt nach den Bedingungen dafür, wie unsere Wahrnehmung der Welt sich verändert haben könnte.“ (Wired)

Whistleblowing – Licht ins Dunkel bringen!

Frank Wehrheim, ehemaliger Steuerfahnder in Frankfurt a.M.

Ausstellung
28. März – 02. April // Festivalzentrum Mousonturm

Ein ehemaliger Frankfurter Staatsanwalt legt sich mit der Großchemie an. Eine Ex-Wertpapierhändlerin soll für einen Fehler des Managements geradestehen. Drei zwangspensionierte Steuerfahnder und ein gekündigter Banker gehen gegen organisierte Steuerhinterziehung vor. Eine Ausstellung des Whistleblower-Netzwerks portraitiert Menschen aus Hessen mit Zivilcourage, die ihr Schweigen gebrochen haben und auf Missstände aufmerksam machen.

Eröffnung am 28. März um 18:30 Uhr mit einer Einführung von Annegret Falter, Vorsitzende des Whistleblower Netzwerk e.V.

Fotos: Petrov Ahner
Texte: Prof. Johannes Ludwig und Annegret Falter
Gestaltung: buero.us und very

WAHRHEIT ist …

… eine Braut ohne Aussteuer … das wertvollste Gut, das wir besitzen … eine Keule, mit der man andere erschlägt … schwächer als Gewohnheit, Sitte und Brauch … zu schlau, um gefangen zu werden … meine liebste Freundin … einzigartig … selten so oder so.

Noch mehr Wahrheiten als Installation im Festivalzentrum, 28. März – 02. April 2017.

In Zusammenarbeit mit buero.us und very

Über den Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ – Partner des Begleitprogramms 2017:

Der Frankfurter Exzellenzcluster untersucht die Herausbildung normativer Ordnungen mit einem speziellen Fokus auf die gegenwärtigen Konflikte um eine „neue Weltordnung“. Das Netzwerk wird im Rahmen der Exzellenzinitiative von Bund und Ländern gefördert und bündelt eine Reihe von Forschungsinitiativen im Frankfurter Raum und darüber hinaus. Die Sprecher-Universität ist die Goethe-Universität Frankfurt am Main.