Filmstill aus "Karama has no walls"

Schwerpunktthema "Revolutionen"

THE REVOLUTION WILL NOT BE TELEVISED

Wo der wert der Neuigkeit in der medialen Aufmerksamkeitsökonomie die höchste Geltung hat, sind Revolutionen schnell ausgerufen. Dass dieser Begriff auch eine politische Bedeutung hat, brachten die Umbrüche in der arabischen Welt in den letzten Monaten wieder deutlich ins Bewusstsein. Diese Revolutionen waren nicht zuletzt auch mediale. Neue Möglichkeiten, Informationen und die damit verbundenen Emotionen zu verbreiten, schufen eine Form der Öffentlichkeit, die noch wenige Jahre zuvor undenkbar war.

Filmstill aus "The Ditch"

Diese Veränderungen betreffen aber bei weitem nicht nur die arabische Welt. Wenn auch die politischen Vorzeichen andere sind, so wird durch die technologischen Neuerungen und die mit ihnen einhergehenden Kommunikationsmöglichkeiten das Zusammenleben vielerorts neu verhandelt. Das betrifft die politische ebenso wie die Privatesphäre. Das Kino steht am Schnittpunkt vieler dieser Bewegungen. Als Relikt einer kapitalintensiven Kulturindustrie wird es durch die neuen Medien wirtschaftlich und ästhetisch in Frage gestellt.

Filmstill aus "Life without principle"

Gleichzeitig ist es noch immer ein Massenmedium mit der besonderen Begabung, die emotionale Dimension des menschlichen Miteinanders aufzuzeichnen, sich den Revolutionen durch Beobachtung jenseits des im engeren sinne Politischen anzunähern. Unser internationales Programm gibt dieses Spektrum wieder. Die drei Beiträge über die Ereignisse in der arabischen Welt im vergangenen Jahr stehen für drei verschiedene Strategien im Umgang mit dem Kino als Darstellungsform: wo Karama has no walls die zahlreichen Bilder, die an einem Tag mit Handys und Kleinkameras entstanden, für die Leinwand ordnet, zeichnet Rouge Parole in einer assoziativen Kette geduldiger Beobachtung das Stimmungsbild eines Landes im Umbruch auf, und Back to the square nutzt den Film im Stil einer klassischen Reportage, die den Lebenswegen einzelner Demonstranten nachgeht.

Filmstill aus "Les amants réguliers"

Bertoluccis Titel Vor der Revolution (den wir leider nicht zeigen können) umschreibt den zweiten Block an Beiträgen. Fix me, Life without principle und Sur la planche zeigen Umwälzungen in der Interaktion von Menschen. Politik, Wirtschaft und das Seelenleben des Individuums beeinflussen sich gegenseitig und erzählen Geschichten von Kriminalität, psychischer Krankheit und Therapie. Als Beobachter lehnen sich die Filmemacher dabei an klassische Genremuster an, vermeiden aber das Psychologisieren.

Der Film als Kunstform interessiert sich auch für das, was nach den Revolutionen geschieht. Besonders eindrucksvoll geschieht dies in The Ditch, der vom Leiden der opfer maoistischer Säuberungsaktionen erzählt und die Auswirkungen irregeführter Revolutionärer Ideologie schildert. This is not a film geht vom gleichsam toten Endpunkt einer Revolution aus, dem Hausarrest eines vermeintlichen Systemgegners, und skizziert, wie aus der Interaktion zweier Menschen, eines Tiers und einer Kamera die Keimzelle eines neuen Umbruchs werden kann.

Die Rolle der technischen Medien ist in fast allen Filmen des Programms präsent, meist eher implizit. Dennoch zeigt sich, dass die neuen, demokratischeren Möglichkeiten, große Bilder auf der Leinwand zu produzieren, mit Verbreitungsformen wie Youtube vielfache Allianzen eingehen, die auch Fragen nach dem Verhältnis von Kunst und politischer Betätigung aufwerfen (denen wir unter anderem in der Gesprächsrunde am Donnerstag nachgehen). Die Lust auf kollektive Selbstreflexion im Kino scheint heute stabiler und ästhetisch ergiebiger als die auf manch andere Medien des 20. Jahrhunderts.

the revolution will not be televised.