Und die meinen es ernst

Über den Humor in "Das merkwürdige Kätzchen" und "Zum Geburtstag".

von Frédéric Jaeger

Das merkwürdige Kätzchen

Frédéric Jaeger ist Chefredakteur von critic.de, einem filmästhetisch und kulturpolitisch engagiertem Kinomagazin. Schwerpunkte in seiner Arbeit sind Produktionsdiskurse, französische Filme, deutscher Nachwuchs und die Vermittlung von Kino und Kritik an Jugendliche.

Es ist der Beginn eines Familientages, Jenny Schily steht in der Küche. In der Ruhe ihrer Präsenz, in der Grazie, mit der sie die kleinen Verrücktheiten aller erträgt, in ihrem fast ausdruckslosen Gesicht steckt die ganze Geschichte von „Das merkwürdige Kätzchen“. Immer wieder zeigt Ramon Zürcher sie auch von hinten, wie sich die Mutter konzentriert oder von ihrem Umfeld abschirmt. Einmal, in einer der wenigen Szenen, die außerhalb der Wohnung stattfinden, sitzt sie in einem Café vor einer Fensterfront, vom Zuschauer und der Kamera abgewandt, von der Welt draußen durch die Scheibe abgetrennt. Es sind just solche Distanzen, die das Wesen dieses Films ausmachen. Distanzen prägen seinen Humor und verbinden die Figuren: Die gemeinsame Distanz zur Welt schafft Nähe. Eine elegante Distanz freilich, die sich nicht erklären braucht, die überspitzt das Selbstverständliche und das Offensichtliche fokussiert und mit jedem Zuviel an Aufmerksamkeit das Leben an sich feiert, die menschliche Verfassung als wissbegierige, als nach Erklärungen trachtende Existenz.

Ein Knopf wird sich bald vom Hemd des Jungen lösen, die Waschmaschine spuckt zwei Euro aus, jemand hat auf den Bürgersteig gekotzt, die Großmutter schläft, die Wurst spritzt, die Flasche tanzt. Und die ganze Familie unterhält sich darüber – mit größtem Ernst. Vielleicht ist das ohnehin die Essenz von trockenem Humor, wie er in deutschen Filmen viel zu selten zu finden ist: Die Verständigung findet weder über den Dialog noch über das Spiel statt. Die Darsteller müssen sich in Zurückhaltung üben. Auf Englisch nennt sich diese Form des komödiantischen Schauspiels deadpan, auf Französisch pince-sans-rire (wörtlich: kneift ohne Lachen). Im Deutschen ist mir ein entsprechender Begriff nicht bekannt. Und das, obwohl sich gerade die deutsche Sprache in all ihrer Klarheit und kompositorischen Stärke so wunderbar zu eignen scheint für das Überdeutliche und Erklärende, die dem trockenen Humor zur Vollendung verhelfen können – wie in den Händen der beiden Schweizer Ramon und Silvan Zürcher, die hinter dem „Merkwürdigen Kätzchen“ stecken.

Vielleicht erweist sich auch der Blick von außen auf die deutsche Sprache regelmäßig als der produktivste? Denis Dercourt – Regisseur von so abgefahren eigensinnigen Filmen wie Demain, dès l'aube (2009) und Das Mädchen, das die Seiten umblättert (La Tourneuse de pages, 2006) – hat sich 2013 an einem deutschen Film versucht, mit tatsächlich höchst überraschendem Ergebnis. Wie in den anderen genannten Filmen setzt Dercourt auch in Zum Geburtstag auf eine Thriller-Atmosphäre und zumindest in Teilen auch auf einen entsprechenden Plot. Gleichzeitig aber ist nichts, wie es scheint, oder besser gesagt: Skurril und absurd sind seine Filme gerade, weil die Protagonisten ohne Umschweife sagen, was sie denken. Das ungewohnt Explizite – weil sonst Motive meistens halb-eindeutig verschleiert werden – sorgt selbst für ein Gefühl von Verzerrung. Da muss es doch einen doppelten Boden geben …

Einen sogenannten doppelten Boden gibt es aber nicht, weil da schlicht keine Ebene ist, die eine versteckte Bedeutung beherbergt. Was es aber sehr wohl gibt, ist eine Distanz zur Welt, eine Distanz, die Nähe schafft. Paul (Mark Waschke) fürchtet um seine glückliche Spießer-Familie. Sein neuer Chef Georg (Sylvester Groth) ist ein Freund aus Jugendtagen, mit dem er einen unseligen Pakt um die damalige Freundin geschlossen hat. Heute ist Anna (Marie Bäumer) mit Paul verheiratet. Wird Georg sie zurückverlangen? Obwohl, er ist immer noch mit der damals zufällig auserwählten Ersatzfreundin Yvonne (Sophie Rois) zusammen und scheint es eher auf Pauls Tochter abgesehen zu haben … Dercourt setzt auf Ungereimtheiten und auf das Unplausible. Er lässt Waschke ohne jeden Zweifel Bäumer gegenübertreten und ihr vom Teufel erzählen und von den Börsenkursen, die dieser bestimmen kann. Und dann gehen sie alle gemeinsam im Wald auf die Jagd.

Die schönsten, stärksten Dialoge sind fast immer solche, bei denen jede Seite des Dreiecks Sagen-Meinen-Wollen eigenständig ist, wenn das Gesagte etwas anderes ist als das Gemeinte und das Gewollte ohnehin nicht sprachlich aufzulösen ist. Im deutschen Kino gilt fast immer das Gegenteil: Weder gibt es eine nennenswerte Distinktion zwischen den Worten und ihrer Bedeutung, noch tragen die Protagonisten ein Begehren jenseits der Bedeutungsfindung in sich. Zürcher und Dercourt dagegen entlocken der deutschen Sprache und den Darstellern gerade aufgrund der bloß scheinbaren Übereinstimmung von Sagen und Meinen eine seltene Komik des Deplatzierten. Etwas stimmt da nicht, etwas hakt. Eingrenzen oder erklären lässt sich das Begehren der Figuren nicht, es ist fundamental offen und unbestimmt, es weist über den Film und seinen Plot hinaus. Bei beiden stehen Familien im Vordergrund, nie ließen sich aber die Bestrebungen auf deren Schutz oder Zusammenhalt oder gar romantische Modelle des Zusammenlebens reduzieren. Vielmehr kommunizieren die beiden Filmemacher etwas von der Erfahrung des Fremdseins in Deutschland – und des Menschseins in der Welt. Dadurch gewinnen ihre Filme trotz aller reduzierten Form eine schöne Dynamik. Eine, die das Kino gut brauchen kann.