Jetzt aber mal Mist beiseite

von Eva Becker

Zur Autorin: Geboren 1981 / Studium Visuelle Kommunikation/Film, HfG Offenbach / Seit 2011 freie Filmemacherin, u.a. Hessischer Filmpreis, Lichter Kurzfilmpreis, Content Award Wien / Teilnahme an zahlreichen nationalen und internationalen Filmfestivals, u.a. Berlinale Talent Campus / Gründungsmitglied des Künstlerkollektivs Devantgardista / Dozentin für Flash & Animation / Produziert digitale Slackermovies, liebt Fug und Unfug, lebt in Wien.

Lieblingskomödien und humoristische Einflüsse der Autorin: Rubin & Ed,(1991) / Back to the Future, (1985) / Little Miss Sunshine, (2006) / It´s a wonderful life (1946) / Modern Times (1936) / Black Books (2004 -2006) / Monty Pythons Flying Circus (1969 -1976) / Look around you (2002 – 2005) / Spongebob Schwammkopf (1999 – heute) / Sesamstraße (1969 – heute) /The Office US ( 2005 -2013) Die Hau Schau (1974)



Ich glaube, dass wir heute den Humor noch immer nicht ernst genug nehmen, mahnte vergangenes Jahrhundert der Verhaltensforscher Konrad L.* und beklagte damit einen Zustand, an dem sich bis heute wenig geändert hat – was mir ehrlich gesagt ein Rätsel ist. Denn mal abgesehen von den vielen Vorteilen, die eine heitere Geisteshaltung gegenüber den Unzumutbarkeiten des Lebens mit sich bringt, allein aus Effizienzgründen ist es ratsam, ein freundliches Gesicht zu machen! Um finster zu schauen, muss man 43 Gesichtsmuskeln bewegen, ein Lachen kostet hingegen nur 17 Muskeln! Da verstehe sogar ich als begeisterte Küchen-BWL-lerin: Nach Adam Riese, Eva Zwerg (wie mein Mathelehrer in der Mittelstufe gerne witzelte) macht das 26 gesparte Muskeln und ist daher sehr effizient! Vermutlich erspart man sich die unschönen vertikalen Stirnfalten um die Augenbrauengegend, aber zurück zum Gedanken der Effizienz, fortan im Text mit Mist ersetzt, da diese Buchstabenkombination gerade so günstig zu haben war und dabei wesentlich weniger Buchstaben verbraucht.

Heute stellt sich ja eher selten die Frage, ob etwas sinnvoll, wahr, schön oder gut ist. Die wirklich großen Fragen der Menschheit drehen sich allesamt um wirtschaftlich mistiges Handeln, welches dann gegeben ist, wenn man mit dem geringsten Aufwand und dem Einsatz von knappen Mitteln den größten Nutzen erzielt. Die brennenden Fragen lauten daher: Wie schafft man weiter Wirtschaftswachstum angesichts knapper werdender Ressourcen? Wie kann man noch mehr aus den Menschen herauspressen, angesichts sinkender psychischer Belastbarkeit? Wie kann man noch mehr verkaufen, angesichts fallender Nettolöhne bei den unteren Einkommensschichten? Wo können noch Kosten im Produktionsprozess eingespart werden, um im knallharten Wettbewerb nicht von der billigeren Konkurrenz verdrängt zu werden? Zur letzten Frage gibt es eine wunderbare Antwort in Modern Times, C.´s* Komödienklassiker. Wir sehen, wie der Protagonist in eine Fütterungsmaschine gesteckt wird, welche der Arbeitgeber einzusetzen gedenkt, um unmistige Pausen während der Arbeit einzusparen. An sich eine hervorragende Idee, nur dummerweise hat die Maschine eine Fehlfunktion, was dazu führt, dass C. von ihr regelrecht gefoltert wird. Die Verursacher seines Leids reagieren selbst maschinenhaft und statt einen Mitmenschen von seiner offensichtlichen Qual zu befreien, hat für sie oberste Priorität, die Maschine wieder zum Funktionieren zu bringen. Erinnert mich an irgendwas.

Aber zum Glück ist es ja nur ein Film und Gott sei Dank auch noch ein lustiger. Ich glaube, nähme man alle komödiantischen Elemente aus Modern Times heraus, man würde es als Zuschauer kaum aushalten. Als humorfreies Drama wäre der Film doch unkuckbar! Diese These kann man, finde ich, ohne Umschweife auf das richtige Leben übertragen, und deshalb mache ich das auch! Man macht Dinge heutzutage in erster Linie ja, weil man kann oder auch – weil man nicht anders kann.

77%….92%… 98%….Hängt 99%…Hängt…100%! Übertragung erfolreich.

Wäre im Leben alles todernst, es wäre nicht auszuhalten! Nunja, es ist nicht auszuhalten. Die Welt ist ziemlich ernst geworden. Weil uns der Ausnahmezustand Krise nach sechs Jahren völlig normal vorkommt und wir uns mit der Angst als ständigen Begleitung arrangiert haben. Weil die Zeiten hart sind, die soziale Kälte zunimmt und kaum Hoffnung auf eine bessere Zukunft besteht. Weil wir den Ernstbolden in Politik und Wirtschaft die Deutungsmacht überlassen haben und diese kalt und ungehindert durchdeklinieren, nach welchen Werten wir unser Leben zu gestalten haben: Wettbewerb, Wachstum, Nutzen, Konsum, Leistung, Flexibilität, Anpassungsbereitschaft, Mist. Kein Wunder, dass sich die allgemeine Laune der Lage angepasst hat und ernste Mienen zum bösen Spiel das Bild im Alltag dominieren, wenn sie nicht gerade betäubt auf die glatten Oberflächen ihrer Smartphones starren. Die Gelotologie, also die Lachforschung, hat ermittelt: Kinder lachen 400 Mal am Tag, Erwachsene höchstens noch 5 mal. In den 50ern lachte man noch 18 Minuten am Tag, heute 6 Minuten, Tendenz fallend – bedenklich.

Die Lage ist ernst, ja, aber wir sollten sie nicht auch noch mit Ernst behandeln. Denn das will ja im Kino keiner sehen und im Leben niemand aushalten müssen. Und es ist so verdammt unmistig!

Es ist daher höchste Zeit den Ernstbolden ihre Deutungsmacht wieder zu entreißen. Vieles, was sie uns seit Jahren eingetrichtert haben, ist ja einfach nur hervorragend vermarkteter Unsinn, und dementsprechend sollten wir auch reagieren. Nicht mehr ernst nehmen, wenn uns z.B. mal wieder das Wachstumsmantra vorgebetet wird. Das ist wirklich absoluter Blödsinn, den man als gesunder Mensch aus rein mathematischen Gründen ablehnen sollte. Exponentielles Wachstum auf einem begrenzten Planeten? Geht nicht. Nix linke Ideologie, sondern Mathematik Mittelstufe. Hab ich damals bei dem Lehrer gelernt, der Witze über meine Körpergröße gemacht hat. Das Falsche wird nicht wahrer, nur weil alle es nachplappern, hat schon G.* gewußt:

_„Man muss das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse, in Zeitungen und Enzyklopädien, auf Schulen und Universitäten. Überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.“ _

Dem nicht-mehr-ernst-nehmen folgt das Lachen. Wer lacht, hält nicht still, was nicht nur für die Lachforschung ein Problem ist – denn die Probanden in der MRT-Röhre müssen ja stillhalten –, sondern auch von falschen Autoritäten und Machthabern seit jeher gefürchtet wurde. Denn Humor ist ein Mittel der Erkenntnis, das Bewußtsein schafft und Auswege aus der propagierten Alternativlosigkeit aufzeigt. Er entlarvt selbstverständlich hingenommenene Normalität als eine lediglich selektierte Wirklichkeit unter vielen möglichen. Wir können uns dann wieder daran erinnern, dass jeder Einzelne von Natur aus wertvoll ist, ohne dass er etwas geleistet haben muss. Dass wir ein gutes Leben haben können, ohne dass wir dazu jemandem etwas wegnehmen müssen, und wenn wir es doch tun, es auf uns zurückfällt, weil letztlich alles zusammenhängt. Humor heilt, weil er Verbundenheit im Herzen erzeugt und durch ihn das sonst so strenge Über-Ich tröstend und zum verletzten, verängstigten Ich spricht, und damit diesem Ich Lust aus Umständen verschafft, die eigentlich Anlass zu Unlust und Verzweiflung wären. Diese Leistung anerkennend, bezeichnete Sigmund F.* den Humor als etwas Erhabenes.

Es ist wunderbar, dass Lichter 2014 den Humor in seiner filmischen Form, der Komödie würdigt und ein Forum bietet, denn es ist Zeit, dass wir die Leichtigkeit des Lebens wieder ernst nehmen und kultivieren. Im Film und im Leben. Und es ist hervorragend, dass wir das Argument des Mists lächelnd entgegensetzen können, sollte ein Ernstbold daherkommen und griesgrummeln Jetzt aber mal Spaß beiseite… oder Bei sowas hört der Spaß aber auf! Denn an dem Punkt wo der Spaß aufhört, beginnt der Humor und da wo´s zu weit geht, fängt die Freiheit erst an.

*Namen von der Redaktion aus Mistgründen gekürzt