Geld oder Leben?

Erfolg wird immer umfassender definiert und gemessen

von Dr- Stefan Bergheim

Sinnvolles Change Management braucht Ziele: Was wollen wir erreichen? Welchen Erfolg wollen wir? Diese Ziele um- fassen längst mehr als nur Geld – und sie sind nicht nur Unterziele auf dem Weg zu mehr Geld. Beteiligung von Mitarbeitern und Bürgern wird als Ziel an sich geschätzt. Ähnlich wichtig ist eine gute Gesundheit als eigenständiges Ziel. Der Erfolg von Organisationen wird immer breiter und umfassender definiert und gemessen. Wer sich diesem Trend öffnet und ihn lebt, der wird langfristig auch den Wandel wirklich erfolgreich gestalten. Das gilt für Unternehmen ebenso wie für Städte und ganze Staaten.


Die breite Definition von Erfolg ist im Kern ein Luxusthema. Je besser die monetären und materiellen Bedingungen der Menschen sind – das pro-Kopf-Einkommen der Deutschen hat sich in den letzten 50 Jahren vervierfacht – umso mehr Bedeutung bekommen andere Faktoren. Individuelle Werte wie beispielsweise Freiheit, Selbstverwirklichung, Engagement, Lebens- zufriedenheit oder Umweltschutz und andere nehmen auf der Prioritätenliste der Menschen einen höheren Platz ein. Die Sozialwissenschaftler konstatieren einen Wertewandel hin zum «Postmaterialismus»: Sind die materiellen Ressourcen ausreichend vorhanden, dann verändern sich die Werte in Richtung Selbstbestimmung, die Prioritäten erweitern sich und die Men- schen fordern u.a. mehr Freiheits- und Mitspracherechte ein.


Für Unternehmen zeigt sich dieser Trend zur breiteren Er- folgsdefinition an vielen Ecken. Zum Beispiel reicht Geld allein schon lange nicht mehr, um Mitarbeiter zu motivieren und zu halten. Ein Arbeitsklima der Wertschätzung und Kooperation ist für viele Menschen so attraktiv, dass sie bereit sind dafür auf Gehalt zu verzichten – und das Unternehmen dadurch sogar noch produktiver wird. Gesundheitliche Vorsor- ge umfasst heute mehr als nur Rückenschulung und Impfprogramme: das mentale Wohlergehen der Mitarbeiter rückt in den Mittelpunkt. Und wer heute nicht über seinen – immer weiter sinkenden – Ausstoß an Treibhausgasen berichtet, der wird von vielen Kunden und Mitarbeitern kaum noch akzeptiert.
Für diese vielen Aspekte des Erfolgs von Unternehmen gibt es mittlerweile eine strukturierte Berichterstattung: Die Global Reporting Initiative bietet seit 2002 Richtlinien für Unternehmensberichterstattung, die neben wirtschaftlichen Kriterien auch die Themen Umwelt, Arbeit und Menschenrechte be- rücksichtigt. In Zukunft werden sich immer mehr Unternehmen an diesem Berichtsstandard messen lassen, ihre relativen Stärken und Schwächen damit identifizieren und ihr Handeln da- ran entsprechend ausrichten. Personen und Organisationen, die Change Management begleiten, werden sich darauf einstellen müssen.


Von den Erfolgskriterien für Unternehmen führt ein direkter Weg zu einer breiteren Erfolgsmessung von Städten und Gemeinden. Für viele Unternehmen ist der Fachkräftemangel schon heute ein wichtiges Thema. Aktive Bewerberansprache, ein gutes Arbeitsklima und eine Reputation als umweltfreundliches Unternehmen können Beiträge dazu leisten, als Arbeit- geber attraktiv zu bleiben. Für potenztielle Mitarbeiter ist da- rüber hinaus auch wichtig, wie hoch die Lebensqualität am Standort des Unternehmens ist: Wie ist die Wohnsituation? Gibt es viel Kriminalität? Sind die Schulen in gutem Zustand? Wie viel kulturelles Angebot ist vorhanden? Wie steht es um den sozialen Zusammenhalt? Diese Punkte kann ein Unternehmen allein nicht beeinflussen: Politik, Wirtschaft und Zivilgesell- schaft gemeinsam können sie aber angehen.


Um diese Erfolgsmaße für Städte zu analysieren gibt es bis- her noch keinen weltweit anerkannten Berichtsstandard. Aber immer mehr Städte orientieren sich – mehr oder weniger strukturiert – an einer breiten Vorstellung von Erfolg. Besonders erfolgreich macht dies seit Jahren die Initiative «Vital Signs» der Bürgerstiftung im kanadischen Vancouver. Dort stellte man sich die Frage, nach welchen Kriterien die Gelder der Stiftung ver- geben werden. Antwort: für Projekte, die die Lebensqualität in Vancouver am stärksten verbessern. Um diese Projekte zu iden- tifizieren wurde ein Berichtssystem für zwölf Themenbereiche und mehr als hundert Indikatoren aufgebaut. Gemeinsam mit der Stadt, der Wirtschaft und anderen Akteuren aus der Zivilgesellschaft, versucht man nun die Bereiche aktiv anzugehen, in denen sich Vancouver noch besonders verbessern kann.


Der Trend zu breiteren Erfolgsmaßen endet natürlich nicht auf der städtischen Ebene. Auch immer mehr Staaten befassen sich damit, ihren Erfolg jenseits des Bruttoinlandsprodukts zu messen. Und sie wollen diese breiten Maße nutzen, um knappe zeitliche und finanzielle Ressourcen möglichst sinnvoll einzusetzen. Auch hier gibt es noch keinen weltweit aner- kannten Berichtsstandard, dafür eine wachsende Zahl von Initiativen, die immer wieder ähnliche Bereiche thematisieren. Die OECD hat im Frühjahr 2011 ihren «Index des besseren Lebens» vorgestellt, der jedoch bisher nur Daten für ein Jahr aus- weist. Das Zentrum für gesellschaftlichen Fortschritt hat Ende 2010 einen «Fortschrittsindex» für 22 Länder von 1970 bis 2008 veröffentlicht. Beide Indizes berücksichtigen das Einkommen, die Gesundheit, das Bildungsniveau und die Umweltbelastung. Die OECD schaut zudem auf Themen wie Wohnen, Sicherheit und Lebenszufriedenheit, für die aber nur wenige historische Daten verfügbar sind. In Großbritannien hat Premierminister Cameron Ende 2010 das nationale Statistikamt damit beauftragt, das Wohlergehen der Nation neu zu vermessen. In den USA hat das Parlament ein bis 2018 ausgelegtes Projekt mit einem jährlichen Budget von sieben Millionen US-Dollar genehmigt, um ein nationales Indikatorensystem aufzubauen. In Deutschland wird die Debatte momentan vor allem im Rahmen der Enquete-Kommission des Bundestags «Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität» geführt.


Der Trend zu breiten Erfolgsmaßen wird sich vermutlich in den nächsten Jahren weiter fortsetzen. Immer mehr Unternehmen, Städte und Staaten werden sich darauf einlassen und die Berichterstattung wird immer mehr standardisiert werden – jeweils mit Raum für branchen- oder länderspezifische Aspekte. Sinnvolles Change Management wird sich an diesen Erfolgs- maßen ausrichten.