Eloge des Humors

von Antonin Peretjatko

La Fille du 14 Juillet

Der Autor ist Regisseur des Films La fille du 14 juillet, der beim LICHTER Filmfest seine Deutschlandpremiere feiern wird. Der vorliegende Text ist in einer gekürzten Fassung unter dem Titel „Eloge de l‘humour“ zuerst in der Ausgabe September 2013 der „Cahiers du Cinéma erschienen. Verwendung mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion. Aus dem Französischen von Michael Hack.

Ich habe vor der Wahl eines Titels für diesen Artikel in den „Cahiers du Cinéma“ lange gezögert, denn schon bei „La fille du 14 juillet“ kam bei jeder Einstellung jemand und meinte, eine Anspielung erkannt zu haben. Einige haben den Film einzig im Lichte seiner Verweise und Bezüge interpretiert: „Der dritte Mann“ für das Volksfest, „Der Tod in Venedig“ wegen des Strands ebenso wie Rohmer (angeblich ist der Badeanzug von Truquette der gleiche, der auch in „Pauline à la plage“ auftaucht) oder auch Chaplin, weiß Gott weshalb… eines Tages werde ich eine Figur „Guten Tag, der Herr“ sagen lassen, und auch dann kommt einer und meint, das gebe es ja schon bei Hitchcock. Kurzum, wenn ich diesen Artikel „Chronik“ nenne, dann wird man darin gleich Jean Rouch und die „Chronik eines Sommers“ wiedererkennen, und deshalb kann ich auch ebenso gut eine Godard-Anspielung machen, damit wenigstens das geklärt ist. Da ich kein Filmtheoretiker bin, werde ich versuchen, der Bitte nach einem Artikel über das Burleske und seine Konstruktion auf verständliche Weise nachzukommen.

Paraphrasieren wir den berühmten Satz Buñuels: „Mit welchem Recht erzählt man mir diese Geschichte?“ als „Mit welchem Recht macht man mich darüber lachen?“ Mein Bestreben ist es, dass ein Gag stets dem Film dient, seinem Gegenstand, der Charakterisierung einer Figur. Ärgerlicherweise wird der Gag, wenn er zur Handlung gehört, unverzichtbar, selbst wenn er nicht zündet. Das ist ein großes Risiko. Da man nie sicherstellen kann, dass ein Gag zündet, werden oft zahllose, unnötige Gags in Filme eingebaut. Auf sie zu verzichten, schadet dem Verständnis des Films nicht.

Die Verbreitung der Dialogkomödie auf Kosten des Gags geht also mit einem Verlust von Know-How, aber auch mit fehlender Risikobereitschaft einher. Wir sollten aber gleich zwischen dem Burlesken und der Komödie unterscheiden. Einen Gag kann man nicht improvisieren; einen gesprochenen Satz schon. Vielleicht sollten wir eher sagen: Die Improvisation lässt sich nicht improvisieren. Es ist schwerlich denkbar, einen Gag zu improvisieren, für den man ein bestimmtes Accessoire braucht oder Kenntnisse in Zirkuskünsten.

Bei Filmen mit großem Budget ist der visuelle Humor vom Dialoghumor verdrängt worden, da die Arbeit an ihnen sehr stark segmentiert ist – wir haben es hier mit Filmen zu tun, bei denen Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler sozusagen Akkordarbeit verrichten, und keine Abteilung die Verantwortung für den Gag übernimmt. Da sich keiner richtig um ihn bemüht, zündet er nicht. Und weil die Produzenten – wen wundert‘s – größere Probleme mit dem Scheitern haben als die anderen Gewerke, wird der Gag, weil er zu häufig scheitert, zunehmend außen vor gelassen. Kann der Gag sein Heil nurmehr noch im Autorenfilm finden, wo eine einzige Person für ihn verantwortlich ist?

Es ist eine Eigenschaft des Gags, dass er, wenn er nicht lustig ist, den Zuschauer nicht bloß kaltlässt, sondern ihm auf die Nerven fällt, oder ihn zumindest stört. Vielleicht ist das bei allen Genrefilmen so: ein Horrorfilm, ein Thriller oder eine Komödie enttäuschen nicht einfach nur, sondern sie werden in diesem Falle zum Schund gestempelt, während ein schlechtes Psychodrama im schlimmsten Falle als missratener Film durchgeht. Es ist so, als ob einer Komödie, die uns nicht lachen macht, gleichzeitig auch ihre Reflexion über die Welt abhanden komme; aber das ist auch irgendwie verständlich: auch bei einer Oper kümmert uns der Inhalt herzlich wenig, wenn die Musik uns auf die Nerven geht. Wir sollten dennoch festhalten, dass ein Film, der sich selbst nicht ernst nimmt, sehr oft von anderen nicht ernst genommen werden wird. Das betrifft nicht nur das Kino: man braucht sich nur einmal anzusehen, welchen Ruf Jacques Offenbach im Vergleich zu Richard Wagner genießt. Ein Tenor wird es stets vorziehen, Siegfried zu singen statt den Schuster Frick aus dem „Pariser Leben“. Obwohl Wagner von den Nazis vereinnahmt wurde, und normalerweise ist das das Schlimmste, was einem Künstler widerfahren kann, wird er immer noch höher geschätzt als Offenbach. Da wir nun nach weniger als 800 Worten, am Goodwin-Punkt* angelangt sind, kommen wir zu unserem eigentlichen Thema zurück: damit ein Gag zündet, bedarf es einer präzisen Inszenierung in mehreren Schritten.

Die Inszenierung eines Gags hat oft mit genauer, sogar geometrischer Berechnung zu tun. Welcher Raum? Von welchem Blickwinkel lässt sich der beste Effekt erzielen, und wie lässt sich diese Kameraachse am besten herleiten, damit die Einstellungen sich gut verbinden lassen?

Die erste Schwierigkeit: eine visuelle Idee verschriftlichen. Die zweite Schwierigkeit: sie inszenieren. Die dritte: sie schneiden, sie also in Einklang mit dem Rhythmus der anderen Einstellungen bringen. Jeder dieser drei Schritte wird unweigerlich zu einem Informationsverlust führen. Wenn dann noch die verschiedenen Gewerke und die Behäbigkeit des filmischen Apparats dazukommen und jeder seinen Senf dazugibt, wird das Ganze zu einem Ding der Unmöglichkeit. Beim Humor ist es ja so, dass ihn zwar fast jeder hat, er sich aber kaum jemals auf die gleichen Dinge bezieht.

Das Schreiben ist die größte Schwierigkeit des Burlesken. Man kann einen Gag oft lesen, ohne dabei in Lachen auszubrechen, und dennoch wird er seine komische Wirkung im fertigen Film erzielen. Trotzdem ist es Aufgabe des Drehbuchautors, nicht nur ein Drehbuch zu schreiben, das die Gags beschreibt, sondern auch eines, das lustig ist. Wer mehr als fünf Schriftsteller aufzählen kann, bei denen man in Lachen ausbricht, ist ein Schlaumeier. Man könnte Rabelais nennen, also ganz weit zurückgehen… Cervantes, noch weiter… in jüngerer Vergangenheit in den USA Donald Westlake, in Frankreich einige Bücher von Jean-Edern Hallier. Damit sind wir bei vieren, die aber allesamt tot sind, weswegen wir von ihnen keine Ratschläge mehr zu erwarten haben. Das mit dem burlesken Schreiben ist also alles andere als geklärt. Da ein Drehbuch in den Auswahlkommissionen aber als literarischer Gegenstand verstanden wird (in den Fördergremien des CNC** sitzen viele Verleger und Schriftsteller, nicht wahr?) und lustige literarische Werke auch nicht an jeder Straßenecke zu finden sind, können wir also beobachten, wie die Dialogkomödie die visuelle Komödie verdrängt hat. Zweifelsohne aus mangelnder Vorstellungskraft der Leser oder zumindest, weil sie sich immer das schlimmste vorstellen: man muss sich immer vor Augen halten, dass der Leser sich bei einer visuellen Komödie das schlimmste und bei einem Drama das beste vorstellt.

Eine der Besonderheiten des Lachens, ebenso wie des Weinens, liegt darin, dass es mehr oder weniger unkontrollierbar ist und sich für eine Weile der intellektuellen Kontrolle entzieht. Daher auch das Misstrauen, das ihm in gewissen Kreisen entgegengebracht wird. Dennoch sei bemerkt, dass man sich zwar das Lachen verkneifen kann, nicht aber die Angst (mir sind einige Zuschauer aufgefallen, die sich während des ganzen Films in die Backen gebissen, sich aber hinterher beschwert haben, dass sie nicht gelacht haben, aber ihre Backen haben sie verraten). Die große Schwierigkeit für den Drehbuchautor liegt darin, den Gag so gut zu beschreiben, dass man ihn sich vorstellen kann. Dennoch verliert sich die komische Wirkung oft durch die Beschreibung. So wie wenn man jemandem, der sie nicht verstanden hat, eine lustige Geschichte erklärt. Es ist immer etwas anstrengend, Lachen im Nachhinein zu erzeugen. Es kommt erschwerend hinzu, dass ein Gag nicht realistisch und daher schwierig angemessen vorstellbar ist. Der Kern der Inszenierung des Komischen liegt darin, Dinge lustig erscheinen zu lassen, die es in echten Leben nicht sind. Zum Beispiel: Wenn man beim Zahnarzt war und der einem drei Mal den falschen Zahn gezogen hat, wird man sich selten vor Lachen auf die Schenkel schlagen. Im Kino ist das denkbar. (Übung: diesen Gag nach der Regel Billy Wilders aufbereiten, die im folgenden erklärt wird.)

Billy Wilder sagt, dass man einen Gag mehrfach überarbeiten muss. Ihn zu schreiben verlangt Einbildungskraft, die ein Muskel ist und also trainiert werden kann. Die erste Fassung hat offenkundig oft Verbesserungspotenzial. Wie kann man ihn verbessern? Zuallererst sollte er der Handlung dienen. Dann muss er in die Inszenierung integriert werden, also gleichsam natürlich herbeigeführt werden. Aber er muss noch weiter perfektioniert werden. Die Ideen dafür kommen oft bei der Erstellung des Drehplans oder beim Location Scouting. Der Drehort ist oft ein guter Ideenlieferant, und nicht selten bedarf ein Gag einer bestimmten architektonischen Umgebung. In „The Ladies‘ Man (Zu heiß gebadet)“ von Jerry Lewis zum Beispiel, kann man dank eines riesigen Mädcheninternats ohne Fassade sehen, was sich zur gleichen Zeit überall im Gebäude abspielt, besonders während Jerrys langem Gang zum Speisesaal, in dem es von Top-Models wimmelt, vor denen Jerry panische Angst hat. Das bringt uns zum komischen Potenzial des Schauspielers. Die Probeaufnahmen während des Castings können einen Hinweis geben, was jeweils in einem konkreten Film möglich ist. Und wenn man sich bei der Auswahl trotzdem vertan hat, sollte man sich an den berühmten Satz von W.C. Fields erinnern: „Das lustigste, was ein Schauspieler tun kann, ist es nicht zu tun.“

Wenn der Gag zündet, gibt es im Saal eine unmittelbare Reaktion: nicht vereinzeltes Kichern, sondern ein allgemeines schallendes Gelächter – besonders gelungen ist ein Gag, wenn eine oder zwei Personen den Saal verlassen, weil ihnen das Lachen der anderen auf den Nerv geht, und wenn diejenigen, die ihn nicht verstanden haben, auch dann nichts kapieren, wenn jemand es ihnen erklärt. Wenn der Gag dann auch noch der Handlung des Films dient und damit richtig gut wird, glauben Sie nicht, dass man Ihnen das zuschreiben word. Die Zuschauer werden darin Chaplin, Tati oder Etaix sehen und ihnen die Ehre erweisen. Denn für das akademisch-intellektuell-bürgerliche Milieu ist nur ein toter Komiker ein guter Komiker, und es ist nicht vorgesehen, dass auch Sie selber lustig sein könnten. Deswegen ist ein Filmhistoriker im allgemeinen ein sehr schlechter Zuschauer und wird Ihnen niemals ein guter Freund sein, weil er Ihre Filme erst dann wertschätzen kann, wenn Sie tot sind. Wie bitte? Etaix ist gar nicht tot? Das könnte er selbst ganz einfach ändern, dann würde man ihm vielleicht endlich die verdiente Aufmerksamkeit entgegenbringen, und er könnte endlich wieder Filme machen.

  • Das Goodwin-Gesetz ist eine empirische Regel, die einem Satz von Mike Goodwin aus dem Jahr 1990 über Debatten in Onlineforen entstammt. Das Goodwin-Gesetz lässt sich auf jede Diskussion oder Unterhaltung anwenden; ein Teilnehmer erreicht den Goodwin-Punkt, wenn er auf den Holocaust oder den Nationalsozialismus zu sprechen kommt, selbst wenn der ursprüngliche Gesprächsgegenstand damit überhaupt nichts zu tun hat.

  • Der CNC, das Centre National de la Cinématographie, ist die zentrale Förderinstitution des französischen Kinos (A.d.Ü.)